Ja, Wilder als man denkt


Der Nick Wilder und ich, wir haben uns entdeckt über eine Theaterrolle. Beide haben wir den „George“ gespielt, in der hierzulande selten aufgeführten Komödie „Nächstes Jahr – Gleiche Zeit“ von Bernard Slade, Nick im Stadttheater Bruneck (Südtirol), ich im Theater Ulm und im Theater Neu-Ulm. Nach der Entdeckung dieser Parallele wollten wir uns kennenlernen und haben alsbald ein Treffen arrangiert: Nick hat auf einer Rückreise von Stuttgart in die Südtiroler Heimat seiner Frau Christine in Neu-Ulm einen Zwischenhalt eingelegt. Es wurde eine herzliche Begegnung.

Eigentlich hätte ich Nick Wilder längst kennen können / müssen – wenn ich nicht so ein TV-Muffel wäre. Er war 14 Jahre lang als „Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer“ die Werbe-Ikone einer ganzen Generation. Dann liebten ihn die Fans als Bordarzt Doc Sander des „Traumschiff“. Beides war an mir komplett vorbeigegangen. Und da ich mich mit Surfen nicht so auskenne, wusste ich auch nicht, dass er Surf-Weltmeister war – wie so manches andere, was sein wildes Leben ausmacht(e) – hier ein Interview aus 2022 – , zum Beispiel auch, dass der von der Insel Fehmarn gebürtige Kollege ein guter Musiker ist.

Nach dieser ersten Begenung blieben wir – dem net sei’s getrommelt und gepfiffen - in Kontakt. Nun hat uns sein zweites Buch (nach dem biografischen Erstling „Herr Kaiser, das Leben ist wilder als man denkt“) mit dem Titel „Vaterliebe“ auf eine spezielle Art näher gebracht: Ich durfte eine Vorabdruck lesen und wollte eine Rezension schreiben. Der Inhalt des Buches hat mich aber nicht auf Distanz bleiben lassen. Und so ist es ein spezielles Befassen mit einem Roman geworden, dessen Figuren mir relativ nah auf die Pelle gerückt sind. Ich habe mich eine Weile mit verschiedenen langen Gedankengängen herumgeschlagen und dann zu folgenden Zeilen hinreißen lassen:

„Vaterliebe“ – den Buchtitel lesen … und unweigerlich bestürmen einen die Assoziationen. Unvermeidlich die Gedanken an den eigenen Vater, der in den frühen 1930er Jahren jung gewesen war, zur Zeit des Nationalsozialismus, um die Hitlerjugend drumherum gekommen war, sich zusammen mit seinen Freunden von der katholischen Jugend manches Scharmützel mit den Braunen geliefert hat und dann zehn wertvolle Jahre seines Lebens gezwungen worden war, Uniform zu tragen. Zwei Jahre Reichsarbeitsdienst, dann zwei Jahre Wehrpflicht und danach sechs Jahre Kriegsdienst an verschiedenen Fronten als Stabsgefreiter und Fahrer eines Regimentskommandeurs.

Sein Vermächtnis: „Sohn, versuch nicht, irgendeine Karriere-Leiter nach oben zu klettern. Auf jeder Stufe wird’s furchtbarer.“

„Vaterliebe“ – Gedankensprung zum Vater einer guten Bekannten , der sich – mit 15 (!) – ganz kurz vor Ende des WK II zur SS gemeldet hatte, weil er seinem gewalttätigen Vater irgendwie entkommen wollte. Dummerweise geriet er noch in (amerikanische) Kriegsgefangenschaft. Und tragischerweise wurde er von dem Vater, dem er hatte entkommen wollen, nach der Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft denunziert und landete als Ex-SSler im Zuchthaus. Dieser Mann zeugte fünf Kinder – zu seiner großen Enttäuschung alles Mädchen. In einer wollte er partout einen Jungen sehen, wollte sie entsprechend erziehen und legte seine militaristischen Usancen erst ab, als ausgerechnet diese Tochter ihm den ersten männlichen Nachkommen zur Welt brachte.

In „Vaterliebe“ hat der Vater, Leopold von Stein, ein fanatischer SS-Grande zwei Söhne, Hans und Alex. Beide wollen die Liebe dieses Vaters, eines Mannes, der 1927 mit knapp 15 zur Hitlerjugend kommt und „hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder“ werden und für den Führer sterben will.  Als Vater will er nach der Nazi-Zeit und nach dem Krieg, nachdem er da die Rolle eines regelrechten Schweinehundes gespielt, nein, gelebt hat, diese Prinzipen einer unmenschlichen Weltanschauung an seinen Söhnen einimpfen.

Hans, den Älteren der beiden bringt er tatsächlich weitgehend auf Linie. Der Jüngere, Alex, hat mit dem, was der Vater von ihm will, wenig bis gar nichts am Hut.

Wir miterleben im Roman des Autoren-Duos Nick Wilder & Richard Opper die Geschichte einer Familie in der Bundesrepublik Deutschland, welche sicher den meisten noch vor wenigen Jahren reichlich an den Haaren herbeigeholt schien. Derjenige aber, der diese Zeit selbst miterlebt hat und dem dabei einige höchst bedenkliche Dinge passiert sind, welche fatal zu den jüngsten Entwicklungen passen, dieser Zeitgenosse von Alex und Hans findet die Romanstory alles andere als abstrus. Leider ist sie es nicht, abstrus.

Der Rezensent hatte unter anderem in den 1970ern am Rande eines poltischen Seminars in Gummersbach beim Abendausgang in einem Waldlokal mit dazugehörigem, militärisch anmutendem Hindernis-Parcour eine eher beängstigende Begegnung mit den dubiosen Stammgästen dieses abgelegenen Treffs. Allein die Tatsache, dass er einen Truppenausweis vorzeigen konnte (Dienstgrad Oberleutnant), bewahrte ihn davor, zusammengeschlagen zu werden.

In die Zeit als Kompaniechef fiel eine Reihe von Anstrengungen, dem Unteroffizier-Korps völlig falsche Vorstellungen vom Soldatsein aus dem Kopf zu bringen. Gewisse Symbole im sogenannten „Uffz-Keller“ mussten per Befehl entfernt und manche naive, auf falsch verstandener Wehrmachts-„Tradition“ fußende Landser-Einstellung war als unhaltbar und völlig obsolet zu entlarven.

Sehr unangenehm war auch der Zusammenstoß Anfang der 1980er mit einem Trupp von Anhängern des Michael Kühnen beim Versuch, für die Zeitung den Wahlkampfbus der braunen Truppe zu fotografieren. Ruckzuck waren ausgestellte Wachen da und erzwangen mit Nachdruck die Herausgabe des Films. Der Einwand, das sei Behinderung der Presse, wurde mir Hohnlachen quittiert. Immerhin war eine Anzeige bei der Polizei erfolgreich.  

Das alles passt für den mit offenen Augen durch das Leben Gehenden mit dem zusammen, was in den letzten Jahren verstärkt aus diesem nur scheinbar unfruchtbaren Schoße kriecht. Insbesondere dieser völlig unverständliche Hass auf Juden (der mit Antisemitismus viel zu akademisch, man möchte sagen: verharmlost wird), der längst überwunden schien, dieser Hass spielt in „Vaterliebe“ schon eine Hauptrolle. Und das ist ja das Unfassbare, dass dieser Hass gerade wieder in den Kreisen aufkommt, die gern einen Schlussstrich ziehen und die dunkelste Phase nicht nur der Deutschen, sondern für Millionen Opfer als „Fliegenschiss“ der Geschichte abtun wollen. Allzu viel Biedermänner (und Biederfrauen) gefallen sich in der Rolle der Brandstifter.

Genau in diese alles andere als beglückende Zeit platzt „Vaterliebe“. Welche von den Autoren gefundene und erzählte Parallelen sich auftun, darf man nun nicht in einer Rezension verraten. Nur so viel: Es sind wahnsinnig viele Parallelen – wobei immer neue Wendungen des Geschehens überraschen und Leserin und Leser regelrecht in Spannung gehalten werden. Man verfolgt das ziemlich verrückte Leben des Sympathie-Trägers Alex, vergleicht immer mit der eigenen Biografie, in der die sich manchmal überstürzenden (Welt-)Ereignisse ja ebenso erlebt wurden – und ist am Ende beglückt, wie sich alles fügt.

Ob das in der Realität gelingt? Wer zum Beispiel Antonio Scurati „M. Der Sohn des Jahrhunderts“, den Roman über die Rolle Mussolinis, gelesen hat, ist skeptisch.

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