Wenn Vater nicht nur von Stein heißt


„Vaterliebe“, eine „history fiction“, die fatalerweise beklemmend weniger historisch und so gar nicht fiktiv erscheint.  Hatte das Autorenduo Nick Wilder und Richard Opper zunächst eine zehnteilige TV-Serie im Sinn, kommt jetzt (erst einmal) in 2024 „Vaterliebe“ als Buch heraus, ein Buch, welches auf Deutsch und auf Englisch erscheinen soll und kaum besser zum aktuellen Zeit-Geschehen passen könnte – samt dem womöglichen Untertitel „Eine warnende Geschichte“.

SPIESZDESIGN, Neu-Ulm

Erzählt wird die Geschichte einer norddeutschen Familie des 20. Jahrhunderts. Der Vater dieser Familie, Leopold von Stein, wächst in der Zeit des erstarkenden Nationalsozialismus heran und erliegt der ihn faszinierenden Ideologie, von der er sein Leben lang nicht loslässt. Um die Liebe und Zuneigung dieses zu solchen Regungen unfähigen Vaters buhlen seine zwei grundverschiedenen Söhne, Hans, der Ältere von beiden, und Alex, wobei der Jüngere nach Meinung des Vaters völlig aus der Art schlägt, weil er eben nicht „hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder“ werden will.

Die heute noch lebenden Söhne eines solchen Vaters, der nicht nur von Stein heißt, sondern in dessen Brust auch ein absolut zum Namen passendes Herz schlägt, solche noch lebenden Söhne werden – für viele vielleicht erschreckend – mit ihrer eigenen Biografie konfrontiert. Für die sind Rückschlüsse aufs eigene (Er-)Leben unvermeidlich; da wird unweigerlich reflektiert und assoziiert werden. Die allermeisten werden nicht ein so gefährliches Leben wie Alex geführt haben. Sie haben aber womöglich einen Vater wie Leopold von Stein gehabt, der in der ersten Lebenshälfte überaus Schreckliches (nicht nur mit-) gemacht hat. Alex erfährt erst spät von dunklen Familiengeheimnissen, hat sich aber schon früh für ein Doppel-Leben entschieden, bei dem er aktiv eine Hasswelt von Antisemitismus, Rassedenken, Holocaustleugnen und völlig verquerem, abstrusem Stolz aktiv und undercover bekämpft, in der Identität des Nazi-Sympathisanten Peter Müller, eine Art „Agent des Guten“.  

Diese – vor allem den in der Mitte des 20. Jahrhunderts Geborenen auf merkwürdige Art vertraut vorkommende Geschichte – könnte nicht besser in unsere Zeit passen, eine Zeit, in der sich vielen wachen Menschen immer wieder der Gedanke aufdrängt: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Geschichtsvergessenheit, Ignoranz, Schluss-Strich-Phantasien bis hin zu Unglaublichem, Unerträglichem wie „Vogelschiss in der Geschichte“ lassen einen erschaudern und machen „Vaterliebe“ mehr als plausibel. Wenn man bis vor einigen Jahren diese Geschichte eben als ein fiktives Histörchen angetan hätte, ist es jetzt eine angesichts des Erstarkens von Faschisten, Reichsbürgern und anderen von Umsturzgedanken Befallenen mehr als eine Mahnung.

Dabei verzichten die Autoren auf jede akademische oder pädagogische Attitüde. Die Geschichte – im Vordergrund das bewegte und bewegende Auf und Ab von Alex – kommt spannend und, ja, unterhaltsam an. Glaubwürdige Dialoge, fesselnde Handlungsabläufe, Rückblenden wie im Film, vor allem auch auf die Jugend des Leopold von Stein, nehmen gefangen und lassen mitzittern und auch mitfreuen. Enge Situationen, aus denen Alex sich immer wider herauswindet, erhalten schöne Gegengewichte durch einfühlsam beschriebene menschliche Begegnungen – auch mit Partnerinnen.

Mit „Vaterliebe“ haben Nick Wilder und sein Co-Autor Richard wohl aus einer Vorahnung entstandenen, den Nerv der Zeit unbedingt treffenden „Kommentar“ geschaffen, zum Glück nicht belehrend oder sonst wie abtörnend, sondern sehr kreativ und abwechslungsreich. Daher ist „Vaterliebe“ allen denen zu empfehlen, denen man wünscht, sie möchten die Zeichen an der Wand deuten. Vielleicht ist es doch angebracht, die ursprüngliche Idee zu verfolgen und doch auch einen   filmischen Mehrteiler zu realisieren.

SPIESZDESIGN, Neu-Ulm



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