Theater ohne Publikum – Masochismus, gaga?!


manyface.gifIrgendwie entdecke ich ein Maso-Gen an mir – ich lese seit einiger Zeit zwei, drei Blogs, deren Inhalt (und Verfasser) mir absolut auf den Nerv gehen. Aber ich lese die Ergüsse trotzdem regelmäßig weiter. Kann ich wirklich nur durch einen womöglich vorhandenen unterschwelligen Hang zum Masochismus erklären.

Immerhin bringen mich die Dinger aber doch auf Trab, auch ans Denken. Mindestens stelle ich fest: Es wird so verdammt viel geschrieben. Und jede(r) kann irgendwas zu jedem beliebigen Thema absondern, meist, ohne dass widersprochen wird. Ob es außer mir keiner liest? Ob alle- so wie ich – so tun, als hätten sie es nicht aufgespürt und gelesen?

Es hat in dieser Publikationsflut ganz schön um sich gegriffen, sich intellektuell zu geben (nicht intelligent!). Und von diesem Standpunkt des Intellektuellen aus wird zum Beispiel der "Verfall des Theaterlebens", des "Geistes des Theaters", der "Theaterkultur" bejammert: Schiller zu spielen würde im Schillerjahr vergessen, versäumt; überhaupt kämen die Klassiker zu wenig auf die Bühne; es würden zu viele "Wegwerf-Stücke" inszeniert, die keinen Bestand hätten; es würden zu viele zu lustige Sachen gebracht; das bürgerliche Beziehungsdrama würde zu sehr gehegt und gepflegt.

Alles nur noch flach, gaga, Ranschmeiße ans Publikum!

???

Nun kenn ich die eine oder andere Inszenierung im deutschsprachigen Raum, die vermutlich dieser Intellektuellen-Gruppe durchaus in den Kram hätte passen können. Aber da, wo ich den Überblick habe, wurde sie nicht gesichtet, diese Klugscheißertruppe. Ich weiß von drei, vier Leuten, die blogmäßig das Maul weit aufreißen und über Häuser urteilen, in denen sie nachweislich mindestens eine Dekade lang nicht mehr waren.

Wer schreibt und dabei Ansprüche (an das Tun anderer) stellt, hat keine Verantwortung.

Da schüttelt der sich, der in diesen Zeiten etwas tatsächlich unternimmt, produziert und Kolleginnen und Kollegen die immer seltener werdende Möglichkeit bietet, künstlerisch tätig zu sein und damit auch Geld zu verdienen.

Ob mich (auch hier) überhaupt einer liest, kann mir doch letztlich am Arsch vorbeigehen. Ich schreib (wie andere) wozu ich Lust habe, brauch auf keine Akzeptanz zu schielen, kann mir sagen: Mich versteht keiner. Wenn ich aber Theater mache und mir dabei am Arsch vorbeigeht, ob jemand das sehen will, und ob überhaupt jemand versteht, was ich da zeige, dann mach sehr bald gar kein Theater mehr.

"Theater ohne Publikum" haben wir als Aktion vor Jahren gemacht, mit Gucklöchern, durch die man von der Straße her in Theateraum spicken konnte; es konnten auch Leute im Theateraum sein, die mussten aber so tun, als seien sie gar nicht da, sie durften nicht applaudieren und nicht Buh rufen; sie hatten keinen Eintritt gezahlt und somit auf nichts einen Anspruch; sie durften nicht mal klagen, weil wir ihnen die Zeit stehlen – sie hätten ja nicht zu kommen brauchen.

Wir machten Sachen, die wir schon immer gern mal hätten machen wollen, wenn wir nicht dem Publikum verpflichtet wären, dien müssten – jede(r) für sich oder auch in Gruppen, zum Teil (extra für den Abend) auswendig Gelerntes, zum Teil Spontanes, zum Teil nach vorheriger grober Absprache.

Wie gesagt: Wer da Augen- und Ohrenzeuge war, musste keinen Eintritt zahlen, konnte aber nachher spenden. Es kam was ein, aber zu wenig. Inhaltlich und materiell hätte ein Weitermachen von "Theater ohne Publikum" die Diagnose "Masochismus" (mindestens die) gerechtfertigt. Oder "Schizophrenie"? (Im Stuttgarter Staatstheater nach einer "Don Karlos"-Vorstellung hat mal in einem Gespräch mit dem Publikum der Darsteller der Titelrolle behauptet: "Auch wenn an der Rampe eine Mauer zum Publikum errichtet würde, ich würde dahinter genauso spielen, als wenn das Publikum mich sehen könnte.")

Wir haben jedenfalls nach unserem event "Theater ohne Publikum" wieder überlegt, was wir machen könnten, um das Publikum zu regulären Konditionen ins Theater zu verführen.

Derzeit ist es wieder sehr schwer, dementsprechende Entscheidungen zu treffen. Und wir haben die Ahnung, dass es in der näheren Zukunft nicht besser wird.

Jetzt mach ich mal Schluss und gucke, dass ich die vier Ton-CD' fertig kriege, die ich für die morgige erste Hauptprobe brauche. Freitag ist Premiere. Kein Klassiker (auch nicht Schiller), kein Wegwerf-Stück, vielmehr eines, das Bestand haben dürfte, nichts Lustiges (wiewohl nicht ohne Humor), auch kein bürgerliches Beziehungsdrama, alles andere als flach, gaga, ranschmeißerisch.

Gucken wir mal, wer da kommt…

2 Gedanken zu “Theater ohne Publikum – Masochismus, gaga?!

  1. Ragna

    Ja, so ist das, mit der virtuellen Welt, da kann man schnell mal groß Tennis spielen, kann einem ja hinterher keiner einen Ball an den Kopp werfen 😉 (Oh Gott, oder meinst du etwa meinen Blog *schluck*)
    Es ist doch eh ein interessantes Phänomen, dass ein Großteil der Theatermachenden ständig am Rotzen ist, nichts Gutes sieht nirgends, das Projekt in dem man spielt auch eigentlich nur blöd findet aber naja, das Geld muss dann ja schon rein, und die anderen können alle nix und man selber weiß aber wie es geht.
    Ja, da frag ich mich dann schon: Boys & Girls, warum macht ihr es denn nicht??? So statt Jammern einfach selber machen, das müßte unsere Republik bei der täglichen Jammerquote kulturell ja unfaßbar nach vorne bringen!!!
    Persönlich geht es mir ja grad gut. Ich hab auf einmal den Hacken voll zu tun. An Institutionen, wo viel zu verbessern ist, sonst müßte ich da ja auch nicht hin, die aber auch viel können. Mit Stücken, die nicht immer meine sind, aber dazu kann ich sie ja machen. Ich mach Theater sowieso, weil ich der Welt etwas von mir, von meiner Denke, von meiner Wut geben will. Dafür ist das Material dann letztlich zweitrangig.
    Theater ohne Publikum find ich ja mal ne lustige Idee. Schön provokant und beißt sich natürlich gleich selber in den Schwanz. Theater mit Publikum ist dann schon besser. Schließlich wird es erst dann Theater. Wenn mindestens einer mit Absicht guckt. Das macht Spiel zur Kunst, dieser Wahrheit müssen wir uns stellen. Der Typ mit der Mauer muss das allerdings nicht. Wer nicht nur ein Brett, sondern gleich eine ganze Mauer vorm Kopf hat, der kann einfach gleich da bleiben, wo er eh schon ist: Im Mausoleum seines eigenen Horizonts.

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  2. Guten Tag, Ragna,
    nein, Dein Blog kann nicht gemeint sein – sonst würde ich Dir die Freundschaft nicht angeboten, beziehungsweise die wieder gekündigt haben.Es ist auch sonst keines hier auf theaterblogs.de gemeint. Die Blogs, mit denen ich mich herumquäle, möchte ich nicht auch noch nennen, das wäre zuviel der Publizität; es reicht, dass ich sie nicht ignoriere.

    Dir danke ich jedenfalls für Deine hier geposteten kommentierenden Gedanken. Vielleicht äußert sich ja noch eine Leserin oder ein Leser.

    Zu Deinem impetus, Theater zu machen: Wir sind eine Zwei-Personen-GbR; und da hat der eine Teil auch eher sowas, was sein Partner als „Sendungsbewusstsein“ apostrophiert, während dieser andere Teil einfach nur ein Erzkomödiant sein will. Jetzt streiten wir dann und wann immer mal wieder, wer nun tatsächlich mehr zu geben hat… An der Stelle könnte ich das augenzwinkernde Smiley einfügen.

    Beste Grüße

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